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Für eine Liebe

Nachwort 42 sen/Scharmbeck am 6.3.1945 und Frau Klara R. aus Malsleben/Dannenberg am 13.3.1945. Den letzten überlieferten Prozess wegen verbo- tenen Umgangs führte das Lüneburger Landge- richt gegen Frau Luise S. am 11. April 1945. Ihr wurden von Staatsanwalt Kliesch zwei Straftaten aus dem Jahre 1942 vorgehalten, nämlich das Ausleihen eines Fotoapparats (für einen halben Tag) an den französischen Kriegsgefangenen Moritz, der eine polnische Zwangsarbeiterin fo- tografieren wollte. Außerdem habe sie sich mit dem belgischen Kriegsgefangenen Robert M. „...in ein Liebesverhältnis eingelassen und mehr- fach mit ihm geschlechtlich verkehrt. Sie wurde durch diesen Geschlechtsverkehr schwanger ...“. Es kann nicht nachvollzogen werden, auf welche Weise erst gut zwei Jahre später dieses „De- likt“ soweit öffentlich wurde, dass sich die Lüne- burger Gestapo einschaltete und Frau Luise S. am 19.1.1945 durch Kriminal-Obersekretär Parchmann verhörte. Sie wurde sofort verhaftet, in das Gerichtsgefängnis Lüneburg verbracht und am 22.1.1945 beantragte der Gestapo- Mann Schweim bereits die Erwirkung eines Haftbefehls beim Oberstaatsanwalt, der auch am 1.2.1945 erlassen wurde. Obwohl der Zusammenbruch des NS- Justizsys- tems unmittelbar zu erwarten war, die britischen Truppen bereits im norddeutschen Raum stan- den und am 10. April in Hannover einmarschier- ten, wurde im nahegelegenen Lüneburg für den 11. April der Prozess anberaumt und Luise S. durch die Gefängnisaufseherin Meyer eine Vor- ladung zur Hauptverhandlung per Zustellungs- urkunde überreicht („Ldg. z.T. 11.4.45, 9 ¼ Uhr Strafk. Lbg., P K Ls 2/45“). Was sich dann an jenem 11. April in den Räu- men des Landgerichts am Markt abspielte, ließ alle Merkmale einer sich in Auflösung befindli- chen Justiz und zugleich den unbedingten Wil- len zu einer Aburteilung in letzter Stunde erken- nen: Zunächst zum Personal: Zwar erschienen der Landgerichtsdirektor Tetz- ner ( als Vorsitzender ), Landgerichtsrat Karbe, Amtsgerichtsdirektor Börner und Gerichtsasses- sor Reuleaux als redliche Beamte pünktlich zum Termin, aber die einfachen Dienstränge glänz- ten durch Abwesenheit: Nachdem festgestellt wurde, dass kein Protokollpersonal vorhanden war, übernahm diese Aufgabe dienstbeflissen ein Richter und protokollierte handschriftlich. Da sich auch kein Urkundsbeamter der Ge- schäftsstelle finden ließ, tagte das Gericht eben ohne einen solchen. Nach Eröffnung der Ver- handlung und dem Vortrag über die Strafsache wurde zunächst der Zeuge aufgerufen und es erschien der Kriminalsekretär Batmann von der Gestapo Lüneburg, der, wie es das Protokoll handschriftlich zusätzlich vermerkt, auf die Wahrheitspflicht bei seinen Äußerungen hinge- wiesen wurde. Aber zunächst verließ der Zeuge den Sitzungs- saal und die Richter warteten auf den Staatsan- walt. Zwar war Gerichtsassessor Reuleaux aus- hilfsweise als Beamter der Staatsanwaltschaft benannt worden, aber der hatte anscheinend die Anklageschrift nicht vorliegen oder konnte sie aus anderen Gründen nicht vortragen. Spätes- tens hier hätte das Gericht, ohne sich eines for- malen Fehlers schuldig zu machen, den Prozess platzen lassen und die Verhandlungen abbre- chen müssen. Stattdessen wurde nun der Chef der Anklagebehörde, Oberstaatsanwalt Kliesch, der fast alle diese Prozesse als Anklagevertreter führte, im Gerichtsgebäude gesucht. Ob sich Kliesch bereits abgesetzt hatte und sich außer- halb Lüneburgs aufhielt, ist nicht mehr feststell- bar. Tatsache ist, dass telefonisch eine Verbin- dung hergestellt wurde - vom Verhandlungssaal aus oder von den Diensträumen der Richter. Und nun folgte etwas in der Lüneburger Justiz- geschichte Einzigartiges, wie es das Verhand- lungsprotokoll belegt: „Der Staatsanwalt trug die Anklage telefonisch vor.“ Die Angeklagte Luise S. berührten diese justi- ziellen Winkelzüge allerdings überhaupt nicht. Sie war noch nicht einmal anwesend. Sie wurde nämlich am Vortage, wie das Prozessprotokoll vermerkt und aus welchen Gründen auch immer „...aus dem Gefängnis entlassen, wie die Ge- fängnisverwaltung mitgeteilt hat.“ Was immer sich das Gericht einfallen ließ: Ohne anwesende Angeklagte war eine Verurteilung nicht sinnvoll. Das Protokoll (unterschrieben und gegenge- zeichnet von den Richtern Tetzner und Karbe) notiert: „Es wird der Beschluss verkündet: Die Sache wird auf unbestimmte Zeit vertagt.“ Aber aufgeben wollten die Richter in ihrer Verurtei- lungswut ihr Ansinnen nicht. Nach zwei Wochen sollte ihnen die Sache erneut vorgelegt werden. Allerdings kamen ihnen nun die englischen Truppen dazwischen, die am 18. April Lüneburg besetzten und es schien ihnen nicht opportun, in dieser Situation die Verhandlung fortzuführen. Landgerichtsdirektor Tetzner allerdings wünsch- te sich eine Vorlage der Akten zum 4.12.1945, wozu es aber aus bekannten Gründen nicht mehr kam. Auch Frau Luise S. wurde am 8. Mai von seinem Verfolgungswahn und vom deut- schen Faschismus befreit.

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