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Für eine Liebe

Nachwort 40 12. Nachwort Kennzeichnend für die justizielle Verfolgungs- praxis in Lüneburg ist sowohl die besondere Schärfe des Strafmaßes, welches das Landge- richt gegen die angeklagten Frauen verhängte als auch die enge Zusammenarbeit der Staats- anwaltschaft und des Gerichts mit der örtlichen Gestapo während des Verfahrens. Die Tatsache, dass die Lüneburger Richter in vielen Fällen über das nach faschistischem Recht vorgegeben Strafmaß hinaus geurteilt haben lässt sich herleiten aus einem Vergleich zur Spruchpraxis anderer Landgerichte. Beson- ders auffällig ist, dass die Richter entlastende Tatsachen häufig ignorierten. Selbst jene durch das Reichsjustizministerium im sogenannten Richterbrief vorgegebenen Empfehlungen stell- ten für die Lüneburger Richter und Staatsanwäl- te keine Strafmaßbegrenzung dar. Und auch auf die Rundverfügung der Generalstaatsanwalt- schaft Celle vom 11. August 1943, die die Höhe der Strafe gegen die angeklagten Frauen ein- grenzt, sofern es sich bei ihren Liebhabern um beurlaubte französische Kriegsgefangene han- delt, wurde wenig Rücksicht genommen. Die Lüneburger Richter und Staatsanwälte war- en nicht nur lediglich Mitläufer des NS-Systems oder gar Staatsdiener, die quasi gegen Ihr Ge- wissen anklagen und urteilen mussten, wie Helmut C. Pless (langjähriger Chefredakteur des Lokalblattes „Lüneburger Landeszeitung“) in seinem Buch „Lüneburg ´45“ mit seinen anekdo- tenhaften Berichten und wie es die „Lüneburger Landeszeitung“ bis in die Gegenwart hinein in verschiedenen Artikeln Glauben machen will (Das „Lüneburg-Buch“ von Elmar Peters aus dem Jahre 1999, „Lüneburg – Geschichte einer 1000jährigen Stadt“ erwähnt die örtliche NS- Justiz übrigens mit keinem Wort), sondern ener- gische Verfechter der faschistischen Ideologie und Politik, wie u.a. die geschilderten Verfahren gegen die Frauen zeigen. Hier praktizierte man nicht nur eine – selbst für NS-Verhältnisse – besonders scharfe Rechtsprechung, sondern sah sich auch verpflichtet, andere Kammern zu kritisieren, die das Lüneburger Strafmaßniveau nicht erreichten. In einem Schreiben vom 28.12.1944 etwa forderte der Lüneburger Ober- staatsanwalt Kliesch sogar seine dienstvorge- setzte Behörde, die Generalstaatsanwaltschaft Celle, auf, für eine schärfere Rechtsprechung der Celler Strafkammer zu sorgen: „Insbesonde- re zeichnet sich m. E. die Rechtsprechung der Strafkammer Lüneburg im Allgemeinen durch eine bemerkenswert gleichmäßige Schärfe aus, während die Celler Strafkammer hin und wieder zur Milde neigt.“ Selbst die formell unabhängi- gen Richter drängte der Lüneburger Ober- staatsanwalt Kliesch unverholen und offen zu einer schärferen Spruchpraxis, indem er z. B. dem Vorsitzenden der Strafkammer beim Amts- gericht Celle ebenso wie den dortigen Beisitzern die entsprechenden Rundverfügungen des Reichsjustizministeriums vorhielt, („Grundsätz- lich sind schwere Fälle, insbesondere Ge- schlechtsverkehr, mit Zuchthaus zu bestrafen.“) ohne allerdings in seinem Anschreiben v. 3.7.1944 auf die Ausnahmebestimmungen für „beurlaubte französische Kriegsgefangene“ hin- zuweisen. Im Unterschied zur verbreiteten Ansicht über die Wirkungsweise der Gestapo, dass diese ver- beamtete Abteilung des NS-Systems relativ unabhängig von der Justiz als autonome Ne- benbehörde fungierte, wird bei näherer Untersu- chung der o.g. Verfahren eine sehr enge Zu- sammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und der Richterschaft in den verschiedenen Stadien der Verfolgung deutlich. „Herr des Verfah- rens“ war teilweise nicht die Staatsanwalt- schaft/das Gericht, sondern die Gestapo. Dieses wird deutlich dadurch, dass die angeschuldigten Frauen zumeist nach ihrer Festnahme und ei- nem ersten Verhör durch die Ortspolizei sofort der Gestapo „überstellt“ wurden, diese das wei- tere Verfahren unter Ausschluss der Staatsan- waltschaft führte, weitere intensive Verhöre und Ermittlungen zumeist zunächst am „Ta- tort“ durchführte, die Angeschuldigten in „Schutzhaft“ nahm, weitere Vernehmungen im Gerichtsgefängnis und/oder im Gestapo- Quartier in der Julius-Wolff-Straße vornahmen und dann erst den „Fall“ an die Staatsanwalt- schaft abgab mit dem Antrag, einen Haftbefehl zu erlassen. Es muss auch angenommen wer- den, dass bei den Vernehmungen auch starke Einschüchterung und gewalttätiges Verhalten von der Gestapo gezeigt wurde. In einem Ver- fahren gegen den Gestapo-Beamten Hinz im Jahre 1948 wurde jedenfalls in der Urteilsbe- gründung darauf hingewiesen, was sich im Ge- stapo-Büro zugetragen hat: „Oft wurden Schreie von Misshandelten gehört. Später wurden die Schmerzensschreie der Misshandelten aus dem Keller des Gebäudes vernommen.“ (Köhler, S. 363) Dabei war sich die Gestapo noch nicht einmal sicher, ob die von ihr erpressten und genannten Haftgründe auch in jedem Fall von dem zuständigen Richter als ausreichend für die

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